Selbstgesteuertes Lernen! Und was macht L&D?

Gerade in dynamischen Zeiten wird Lernen in Organisationen immer wichtiger. Und gleichzeitig soll es schneller werden.
Das setzt die bekannten Instrumente des betrieblichen Lernens stark unter Druck, zeitlich wie inhaltlich. Das Business kann immer seltener warten, bis L&D die relevanten Inhalte klar und eindeutig formuliert hat, um diese nach bewährten Mustern didaktisch aufzubereiten und danach auszurollen. Zu Vieles ist in permanenter Veränderung, als dass wir mit durchgeplanten Trainingsinitiativen rechtzeitig damit beim Lernenden wären. Von der erwiesenen mäßigen Wirkung unserer tradierten Lernkonzepte ganz zu schweigen.
Höchste Zeit also, Tradiertes kritisch zu hinterfragen und uns auf die Suche nach alternativen Möglichkeiten zu machen! Liefern New-Work-Ansätze da vielleicht die Lösung? Schließlich lassen sich agile, selbstgesteuerte Settings leicht aufs betriebliche Lernen transferieren. Vielleicht gerade deshalb erhalten sie laufend neue, schillernde Namen: Self Paced Learning, Agile Learning, New Learning …
Das Neue Lernen! Selbstgesteuert?
Doch halt, das wäre ja zu einfach! All diese Begriffe sprechen von neuen Lernformen. Doch das menschliche Lernen hat sich in den letzten Jahrhunderten kaum verändert. Die Biologie des Lernens ist mittlerweile gut erforscht, auch wenn sich Psychologie, (Neuro)biologie, Soziologie und Bildungswissenschaften sich nicht in allen Punkten einig sind. Eines steht außer Streit: Lernen ist von Natur aus selbstgesteuert. Gesteuert durch Interesse, Neugier und (sozialer) Motivation.
Was wir also brauchen sind also neue Lehrformen. Formen, in denen nicht Wissen (alleine) im Vordergrund steht, sondern Emotionen. Also weg von der klassischen Aufgabe von Lehrern, Trainern und Personalentwicklern: Lerner zum rationalen Lernen von (vermeintlich) nötigem Wissen zu bringen. Das bringt Lernende automatisch eine passive, aufnehmende, konsumorientierte Rolle.
Wir brauchen also Lehrformen, in denen Interesse, Neugier und Motivation ausreichend Raum haben. Selbstgesteuerte Lehrformate leisten das – brauchen aber bestimmte Rahmenbedingungen, damit sie in Unternehmen zum Erfolg führen. Aktuell kennen wir noch (zu) wenige Formate, wie zum Beispiel OpenSpaces, BarCamps, Learning Journeys, WOL oder lernOS.
Wenn Lernen selbst lernen, was macht dann L&D?
Mit selbstgesteuerten Formaten können wir die Lern-Biologie auch im betrieblichen Umfeld gut nutzen: Über Emotionen lernt der Mensch immer, er kann gar nicht anders. Lernen ist ein aktiver Umbauprozess im Körper.
Wenn wir Lernen nicht mehr steuern, sondern einfach mal zulassen, bringen wir Lernende in eine aktive Rolle, die im Unternehmen mit solchen Formaten gut unterstützt werden können. Damit verändert sich die Rolle von L&D automatisch: Begleiter dieses natürlich angelegten Prozess, also die Lernenden nicht zum Lernen bringen, sondern sie (gut) lernen lassen.
Damit wird L&D vom reinen Inhaltsaufbereiter und Content-Distributor zum Inhaltsanbieter, Impulssetzer, Lernmotivator und Neugier-Anstachler. Ja, das muss auch L&D erst lernen.
Selbstgesteuerte Formate brauchen aber eines, klare Führung. In einer neuen Rolle kann und muss L&D diese Führung übernehmen. Konkret bedeutet das,
- eine gemeinsame Vision über das erwünschte (Lern)Ergebnis zu entwickeln, statt einseitig organisationale Lernziele vorzudefinieren.
- einen organisatorischen Rahmen zu schaffen, in dem Inhalte er- oder bearbeitet werden können, statt Seminarabläufe starr festzulegen.
- individuelle Experimente in der Praxis ermöglichen und damit Lernschleifen zu unterstützen statt lineare, allgemein gültige Lernpfade auszurollen.
Kritiker wenden an dieser Stelle gerne ein: Die gewünschten Lern-Ergebnisse bzw. -Ziele sind damit nicht garantiert und die Lernprozesse nicht ausreichend auf Effizienz getrimmt. Nein, das sind sie nicht. Doch das können wir von klassischen Lernkonzepten (leider) auch nicht erwarten, wie uns empirische Studien laufend zeigen – trotz z. B. ausgefeilten Learning Analytics oder aufwendigen Transfermanagements.
Selbstgesteuertes Lernen im Unternehmen – kann das funktionieren?
Ja, es funktioniert. Das kann ich nach gut 10 Jahren praktischer Erfahrung mit selbstgesteuerten Formaten im Unternehmen wirklich behaupten.
Doch einfach ist es nicht: für Mitarbeiter, für Management und schon gar nicht für L&D. Es gilt, nicht nur in eine neue Rolle zu finden und diese auszufüllen. Es gilt auch, das bekannte Lernparadigma des „Experten gesteuerten Lernens“, das wir alle in der Schule erlebt haben und uns damit auch sehr vertraut ist, komplett auf den Kopf zu stellen.
Die größte Herausforderung: all dies intern zu erklären und zu verkaufen. Mitarbeiter brauchen Starthilfe in ihrer neuen, aktiven Rolle. Und Orientierung, was sie nun dürfen und sollen. Führungskräfte brauchen Sicherheit und Vertrauen, dass Selbststeuerung tatsächlich wirkt und gute Ergebnisse produziert. Schließlich brauchen selbstgesteuerte Formate auch eine viel aktivere Rolle in der Führung als bisher.

Herwig Kummer
Herwig Kummer ist Personalmanager beim Österreichischen Automobil-, Motorrad- und Touring Club (ÖAMTC). Mit seinem Engagement für wirkungsvolle Personalarbeit beschreitet er auch ungewöhnliche Wege. Auf der kommenden L&DPro hält er eine Keynote über selbstgesteuertes Lernen in der Praxis. Darüber bloggt er auch unter www.personaleum.at.